Leben im Baum

Ausgewachsene Feuerwanze
Ausgewachsene Feuerwanze
Feuerwanzen auf der Rinde einer Linde
Feuerwanzen auf der Rinde einer Linde
Blaumeise (Bild: Dennis Nedry)
Blaumeise (Bild: Dennis Nedry)
Kohlmeise (Bild: Dennis Nedry)
Kohlmeise (Bild: Dennis Nedry)
Im Film “Avatar” von James Cameron sind die sogenannten Heimatbäume Lebensraum für ganze Dorfgemeinschaften. Aber wir müssen nicht auf andere Planeten reisen, um Bäume zu finden, auf denen sich das Leben tummelt. Auch jeder Baum in Kemnat, zum Beispiel an der Kastanienallee ist Lebensgrundlage und -mittelpunkt für eine fast unüberschaubare Menge von Lebewesen.

Wurzeln, Stamm und Rinde

Äste, Blätter und Früchte

Audio für Kinder

Setzt Euch doch mal hin und hört einfach zu: Was hört Ihr zwitschern, zirpen und rascheln?
An den Wurzeln von Linden und anderen Laubbäumen lassen sich zum Beispiel häufig Feuerwanzen beobachten. Den Namen haben sie wohl von der feuerroten Grundfarbe ihrer Körper und Flügel. Dabei handelt es sich um eine Warnfarbe für Vögel: “Nicht fressen! Wir schmecken nicht gut!” So geschützt können die Feuerwanzen es sich leisten, auf den Gebrauch ihrer Flügel zu verzichten. Sie krabbeln meistens in Bodennähe und legen auch in selbst gegrabenen Erdlöchern ihre Eier ab, die dann vom Weibchen bewacht werden. Sie ernähren sich am liebsten von den Samen von Linden, Malven und Hibiskus, aber auch von den Eiern oder Kadavern anderer Insekten und sind auch schon mal kannibalisch unterwegs.


Gewöhnliche Gelbflechte auf einem Kirschenzweig

Den Stamm der Bäume besiedeln manchmal mikroskopisch kleine, oft aber auch deutlich sichtbare Flechten, Algen und Pilze. Deswegen kriechen immer wieder Schnecken, wie zum Beispiel Weinbergschnecken den Stamm hinauf, die sich an diesem Rindenbewuchs satt fressen.
Weitere Rindenbewohner sind Insekten, und auch sie dienen wieder als Nahrungsgrundlage für andere Tiere. Von den wolligen Napfschildläusen, die gerne an Kastanienrinde saugen, bedienen sich oft Ameisen. Diese fressen die Läuse aber nicht, sondern beschützen sie sogar gegen Fressfeinde. Denn die Läuse scheiden Honigtau aus, den die Ameisen gerne zu sich nehmen. Ganz ähnlich entsteht ja auch Waldhonig: Dabei nehmen Bienen die süßen Ausscheidungen von Läusen auf.


Weinbergschnecke am Stamm einer Kiefer

Klettern wir den Baum entlang weiter nach oben: Am Kastanienbaum wachsen – natürlich – Kastanien. Ihren Früchten verdankt die Kastanienallee ihre Existenz. Freilich steht die Allee in einer eindeutigen Beziehung zum Schloss Hohenheim. Sie verlängert in gerader Linie die sogenannte Kirschenallee auf der anderen Seite des Ramsbachtales. Aber noch interessanter wären die Bäume für andere Bewohner Hohenheims, nämlich die Nutztiere, vor allem die Schweine der Universität Hohenheim. Denen kommt nämlich kohlenhydrat- und proteinreiches Futter aus Eicheln und Kastanien sehr gelegen. Wenn Ihr genau hinschaut, seht Ihr auch, dass die Kastanienallee eigentlich gar keine ist: Auf der anderen Seite stehen nämlich gar keine Kastanien, sondern Eichen.
Auch andere Tiere mögen gern Kastanien und Eicheln. Eichhörnchen ernähren sich von nahezu allem, was Bäume so hergeben: Flechten, Rinde, Baumsäfte und Knospen, sowie andere Baumbewohner stehen auf dem Speisezettel. Also zum Beispiel auch Vogeleier oder Insekten. Dazu schlägt das Eichhörnchen auch seine Wohnstatt möglichst nahe an seinen Futterquellen auf. Entweder entsteht der Kobel in einer geeigneten Astgabel, oder auch gerne in einer von einem Specht angelegten Baumhöhle.


Ein Blick ins Blätterdach zeigt, wie effizient die Bäume das Licht nutzen.

Die Früchte der Kastanienbäume werden also gern von großen Tieren gefressen, die Blätter dagegen von ziemlich kleinen: Die Larven der Balkan-Miniermotten sind so klein, dass sie sich fressend innerhalb des Blattes fortbewegen und nur oben und unten eine dünne, transparente Haut stehen lassen. Wenn Ihr im Sommer oder Frühherbst unterwegs seid, könnt Ihr die typischen Fraßspuren in den Blättern sehen. Im späteren Herbst sind das die Blätter, die der Baum als erste abwirft.
Die Rosskastanien-Miniermotten gibt es in unseren Breiten erst seit etwa zwanzig Jahren. Entsprechend haben sich die möglichen Fressfeinde noch nicht richtig darauf eingestellt. Ein paar Heuschrecken- und auch ein paar Schlupfwespen-Arten fressen die Mottenlarven und -puppen. Und Meisen machen auch Jagd auf die kleinen Schädlinge. Wenn Ihr also Blau- oder Kohlmeisen in den Zweigen entdeckt, könnt Ihr Euch nicht nur über ihren Anblick und ihr Gezwitscher freuen, sondern auch darüber, dass sie zum Erhalt der Kastanienallee beitragen.
Denn, auch wenn jetzt die ganze Zeit von den Lebewesen die Rede war, die den Baum bewohnen, ist doch der Baum selbst auch ein Lebewesen in ständiger Wechselwirkung mit seiner Umgebung. Teilweise leidet er darunter, teilweise profitiert er: Pilze sorgen für Nährstoffe aus dem Boden, die der Baum nicht selbst erzeugen kann, Tiere sorgen für die Verbreitung der Samen. Und die Sonne sorgt für die nötige Energie. Diese nutzt der Baum optimal aus. Schaut mal nach oben: Die benachbarten Bäume nehmen sich gegenseitig kein Licht weg. Die Äste und Blätter überlappen sich kaum, denn jedes Blatt, das im Schatten wächst, ist für den Baum eine verschwendete Ressource. Gleichzeitig aber wird nahezu jeder Sonnenstrahl abgefangen. Und so sorgen die Bäume unabsichtlich dafür, dass Ihr auf den Bänken unter der Kastanienallee auch im heißen Sommer im kühlen Schatten sitzen könnt.


Fraßspuren der Rosskastanienminiermotte